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Andy Holzer: der blinde Bergsteiger im Interview

Andy Holzer hat vieles erlebt – und vieles noch vor. Der blinde Bergsteiger bestieg bereits sechs der „Seven Summits“. Im April 2014 soll der Mount Everest folgen. 

Ein Leben für die Berge

Der Osttiroler Andy Holzer ist Stammgast am Fels. Zahlreiche Kletterrouten und Berggipfel hat der 47-Jährige bereits bezwungen – darunter sechs der Seven Summits. Über 200 Tage verbringt er im Gebirge. An und für sich schon eine beachtliche Leistung. Noch beeindruckender liest sich sein Lebenslauf allerdings, wenn man ein kleines Detail hinzufügt: Andy Holzer ist von Geburt an blind.

Es gibt nicht unbedingt viele blinde Kletterer und Bergsteiger. Wie bist du dazu gekommen?

Blind Climber Andy HolzerMein Geburtsort in Osttirol war da sicher ausschlaggebend. Ich hab mich eigentlich als Kind nie gefragt, was Alpinismus ist. Vielmehr kommt das daher, weil mir schon bevor ich reden konnte aufgefallen ist, dass ich mich beim aufrechten Gang nicht so leicht tue. Klettern war für mich deswegen eine super Möglichkeit voranzukommen. Der nächste Schritt war so immer greifbar. Es ist auch eine Art, um die Welt wahrzunehmen, anstatt blind durch die Gegend zu laufen (lacht).

Bei diesen Ausflügen in die Bergwelt: Wie kommunizierst du mit deinen Seilpartnern?

Wahrscheinlich würdest du es gar nicht sofort bemerken, wenn ein Blinder neben dir klettert. Auffallen wird höchstens die Kommunikation, die etwas anders abläuft. Die Ausdrucksweise ist sehr pointiert. Mein Seilpartner sagt dann etwa: Andy – auf zehn Uhr und zwei Meter dreißig ist eine Sicherung. Alles ist präziser, weil ich mir das anders ja gar nicht leisten kann.

Für viele ist es die Aussicht, welche die Strapazen am Weg nach oben rechtfertigt. Wie ist das bei dir?

Es gibt auch bei den sehenden Bergsteigern enorme Unterschiede. Ich glaube nicht, dass die Aussicht da für jeden so enorm wichtig ist. Immer wieder treffe ich Leute, die sich den ganzen Anstieg antun und nicht einmal eine Sekunde in das Panorama investieren. Für die zählt was anderes: der Weg nach oben. Für mich fühlt sich der Windstoß am Gipfel zum Beispiel so an, als würde mir ein Hut vom Kopf fallen. Das ist riesig!

Blinder Bergsteiger im InterviewWie sieht es mit den Gefahren aus?

Oft sind es wenige Zentimeter die darüber entscheiden, ob man „weg“ ist. Besonders wenn Geschwindigkeit – etwa bei den Abfahrten einer Skitour – dazukommt. Ich fahr‘ da ja auch gerne mal alleine einen Hang runter, wenn mir wer sagt, dass es da 400 Meter gefahrlos nach unten geht. Wirkliche Sorgen mache ich mir aber nur bei so Situationen, wo andere Menschen betroffen sein können. Beispiel: Wenn auf einem Gipfel viele Menschen auf engen Raum stehen, muss ich schon aufpassen, dass ich nicht einen Rucksack Richtung Tal schubse. Da bremst sich bei mir innerhalb einer Sekunde alles ein.

Apropos bremsen: Woher holst du dir während einer Abfahrt mit den Skiern die Informationen über den Hang, in dem du dich gerade befindest?

Prinzipiell weiß ich ja immer nur wie die Bodenverhältnisse sind, wenn ich sie berühre. Alles rundherum könnte genauso gut Abgrund sein. Und da kommt mein Partner ins Spiel. Für die Abfahrten habe ich verschiedene Systeme. Es ist natürlich ein Unterschied, ob ich in eine freie Flanke hineinfahre oder durch einen Wald. Diese vier oder fünf Techniken gilt es dann richtig anzuwenden.

Dauert es lange, bis sich aus deiner Sicht jemand als Partner eignet und dein Vertrauen gewinnt?

Ohne Sicht Bergsteigen Andy HolzerNein. Wir beide könnten morgen eine Skitour gehen. Das ist überhaupt kein Problem! In Wahrheit muss ja eigentlich ich dem neuen Partner lernen, was er zu tun hat und nicht umgekehrt. Und das dauert nicht lange. Der einzige Unterschied bei den Signalen macht für mich die Stimmlage aus. Wenn jemand unsicher ist, dann merke ich das auch gleich und werde ebenfalls unsicher, weil zögerliche Signale mehr Spielraum für Fehlinterpretationen bieten. Im Endeffekt liegt die Verantwortung aus meiner Sicht immer bei mir. Ein 100%-iges Vertrauen kann es natürlich in dem Sinn nie geben.

Verlässlichkeit ist aber sicher auch ein Thema bei deinen großen Expeditionen auf anderen Kontinenten. Wie hat die Geschichte mit den Seven Summits angefangen?

Eigentlich war das gar nicht meine Idee. Bis zum dritten Berg ist mir das nicht mal in den Sinn gekommen. Angefangen hat es mit einem Anruf aus den USA. Ein Bekannter aus den USA hat mich eingeladen, mit ihm auf den Kilimandscharo zu steigen. Zuerst habe ich mir natürlich gesagt: Was? Das ist doch total verrückt! Aber dann siegte zum Glück doch der Gedanke, dass man sich solche Chancen im Leben einfach nicht entgehen lassen sollte. Als es mir dann dort super erging und ich die Kultur erleben durfte wusste ich, dass ich das öfter machen möchte.

Wie ging‘s ab da weiter?

Ab dann war es eigentlich immer die finanzielle Lage, die über das nächste Abenteuer entschied. Die Reise zur Carstensz-Pyramide hat ja 15.000 Euro pro Person gekostet, zum Mt. Vinson in der Antarktis waren es sogar 25.000. Zum Glück hatte ich da Sponsoren, die mir das ermöglicht haben.

Was war das außergewöhnlichste, das du bei deinen Seven Summit-Reisen erlebt hast?

Das besonderste Erlebnis bisher war die Besteigung des Aconcagua in Südamerika. Da war ich mit einem Team unterwegs, wo alle bis auf einen plötzlich höhenkrank wurden und abstiegen. Und dieser „Übriggebliebene“ mit Namen Peter Mair war fast 60 Jahre alt und hatte nur mehr einen Arm. Zuerst beschlossen wir, das Material der anderen zu retten und ihnen nach unten zu folgen. Aber dann hat der Peter gesagt: Andy, wenn wir uns aufeinander einlassen und jeder das gibt was er kann, sind wir der stärkste Mann am Berg! Wir haben vier Beine, drei Hände und zwei Augen – und welcher Bergsteiger kann das schon von sich behaupten? Also sind wir aufgestiegen.

Dein nächstes Projekt steht unmittelbar bevor: der Mount Everest. Wie hast du dich darauf vorbereitet?

2009 (Cho Oyu, Anm.) und 2011(Shishapangma, Anm.) habe ich zuerst zwei kleinere Achttausender „getestet“. Dachstein hat mir da finanziell und in Sachen Ausrüstung sehr weitergeholfen und wird das jetzt beim Mount Everest wieder tun. Ich bin damals zwar auf keinen Gipfel gekommen, aber habe durch diese Trips wichtige Erkenntnisse gewonnen. Mir ist es bei beiden Besteigungen super gegangen. Jetzt kann ich im April 2014 mit einem guten Gefühl zum höchsten Berg der Welt fahren. Und irgendwie sehe ich das so wie meine Frau: Wenn ich ins Basislager komme, habe ich schon gewonnen.

Hast du dein Team schon zusammengestellt?

Ja, das war eine Sache von wenigen Tagen! Obwohl jeder der drei fix im Berufsleben steht, waren die sofort mit an Board. Wenig später haben wir dann alles gebucht und geplant. Völlig unkompliziert.

Was hältst du vom Mythos und den negativen Stimmen, die das Thema Everest umgeben?

Ich finde, es gibt zwei Arten von Menschen die über den Mount Everest lästern. Das sind einmal jene, die schon oben waren und einmal jene, die es noch nicht waren. Müll, Fix-Seil, Leichen – natürlich gibt es diese Dinge. Aber für mich zählt nichts davon. Ich kann ja auch nichts dafür, dass wir nicht das Jahr 1924 (Erster Aufstiegs-Versuch des Mount Everest, Anm.) schreiben. Ich bin sogar froh, dass es moderne Hilfen wie die Sauerstoffgeräte gibt. Nur wegen dem Sauerstoff ist es mir überhaupt möglich, in einem Tempo mit den anderen Teammitgliedern zu gehen. Dieser regelt nämlich vor allem die Körpertemperatur der Bergsteiger, die normalerweise durch die individuelle Aufstiegsgeschwindigkeit stabil gehalten wird. Würde man zu langsam gehen – und sich einem anderen Tempo anpassen – holt einen der Kältetod. Es reicht ja ohnehin, dass ich auch bei Tag ohne Stirnlampe unterwegs bin (lacht).

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